
Kurzgeschichte
„Corinna aus dem All“
Corinna landete mit ihrem Hintern auf dem Boden. „Mist!“, fluchte sie, „Was ist passiert?“ Über ihr schwebte ein waberndes schwarzes Loch, das zur Sekunde kleiner und kleiner wurde, bis es schließlich mit einem leisen „PLOPP!“ verschwand.
„Hat es funktioniert?“, grübelte sie und stand auf. Sie strich den silbernen Weltraumanzug glatt.
„Wo bin ich? Die Gebrauchsanweisung war auf Chinesisch. Hätte nicht gedacht, dass es funktioniert.“ Corinna sah sich um. Sie entdeckte einen Röhrenfernseher, eine grüne Cord-Couch und einen achteckigen Tisch, in dessen Platte Fliesen eingelassen waren. „Merkwürdig“, flüsterte sie, „Was ist das denn für ein Wohnzimmer?“
Geschirr klapperte.
Corinna drehte sich um und entdeckte eine Dame mit beneidenswert glatter Haut und einer um die schmale Taille gebundenen Spitzenschürze. Geschäftig schrubbte sie Teller in einer blitzeblanken Küche. Schnurstracks ging Corinna auf sie zu und plapperte los: „Entschuldigung, dass ich Sie in Ihren eigenen vier Wänden von der Seite anquatsche, aber wo bin ich hier? Und die viel wichtigere Frage: Warum sind Sie genauso klein wie ich?“, schoss es aus ihr heraus, wie aus einer geschüttelten Brauseflasche.
Der Dame fiel vor Schreck der Teller ins Spülbecken. Sie drehte sich um: „Wer sind Sie?“, fragte sie mit zittriger Stimme und hielt schützend einen Topfdeckel vor die Brust.
Corinna setzte den Helm ab. Ihr roter Lockenschopf schoss dabei wild auseinander.
„Ich bin Corinna und weit gereist.“
„Sie sehen aus wie ein geplatztes Sofakissen“, stellte die Dame trocken fest. Corinna strich sich vergebens die Locken glatt: „Auf meinem Planeten bin ich mit Abstand die Kleinste, wissen Sie? Ich werde meist übersehen. Und wenn ich es doch schaffe, auf mich aufmerksam zu machen, nimmt mich keiner ernst. Und nun stehe ich vor Ihnen.“ Corinna lachte, „Ist das nicht merkwürdig und gleichzeitig unfassbar wunderbar? Das habe ich mir immer gewünscht; eine Begegnung auf Augenhöhe.“
„Helga!“, bölkte eine Männerstimme aus dem Esszimmer, „Quatsch nicht mit Fremden und bring mir lieber mein Abendessen. Aber pronto!“
Helga erschrak.
Sie atmete so hastig, dass ihre Schürze bebte. Putz bröckelte von der Decke und die Wände wackelten wie bei einem Erdbeben. Der Kuckuck schaute verzweifelt mit grün angelaufenem Schnabel aus seiner Uhr. Corinna schaffte es gerade noch, sich unter dem Küchentisch zu verstecken, bevor das Dach des Hauses abhob. Eine riesige Hand mit klebrigen Fingern tauchte hinein. Der Eindringling schnappte sich Helga, drückte ihr eine Wurstplatte in die Hände und setzte sie unsanft neben ihren Ehemann an den Esstisch.
Corinna wurde fuchsteufelswild: „Ja, hören Sie mal!“, schimpfte sie mit erhobenem Zeigefinger, „haben Sie schon mal etwas vom freien Willen gehört? Sie können sich doch nicht einfach die Frau hier zu eigen machen. In welchem Jahrhundert sind wir denn?“
Die Hand reagierte. Aber nicht so, wie es sich Corinna vorstellte.
Die klebrigen Finger wischten Schokoladenreste am Perserteppich ab und griffen sich nun Corinna, die sich jetzt vergebens versuchte, im Kühlschrank zu verstecken. Aber die Hand war schneller. Sie zog die Reisende an ihrem silbernen Anzug in die Luft und setzte sie vor die Kommode im Schlafzimmer. „Was soll ich hier?“ Ehe sie sich versah, steckte ein Kamm in ihren Haaren.
„Jetzt reicht´s aber!“, bebte ihre Stimme und die roten Locken wirbelten wie eine Naturgewalt durcheinander, die schließlich den Kamm verschlang. Corinna stand auf, griff einen Gürtel vom Bett und hielt ihn an beiden Enden gut fest. Als der ungebetene Gast sich ihr erneut näherte, warf sie den Gürtel über den Zeigefinger und kletterte hastig auf den Handrücken. Mit all ihrer Kraft versuchte sie den Feind zu bändigen.
Sie kämpfte auf verlorenem Posten.
Die Hand schüttelte sie mühelos auf den Perserteppich ab.
Eine zweite Hand, die doppelt so groß war, mischte sich nun von oben ins Geschehen ein. Der Handrücken war mit dunklen Haaren übersät und die hervortretenden Adern erinnerten an eine Hügellandschaft. „Oh Gott!“, entfuhr es Corinna, „Wo bin ich hier gelandet? Auf dem Planet der Affen?“
Die Hand gehörte zu einem muskulösen Arm, der in der Schulter eines riesigen Körpers mündete. Das dazugehörige Gesicht, mit ähnlich viel Behaarung, lachte herzlich: „Aus welchem Universum bist du denn gefallen?“ Der Riese hob Corinna behutsam auf seine Schulter. „Bitte tun Sie mir nichts!”, bat Corinna und setzte ihr schönstes Lächeln auf, welches den Blick auf eine Zahnlücke freigab. „Ich bin auf der Suche nach Freunden. Oder zumindest nach jemandem, der mich nicht übersieht.“
„Ich sehe dich!“, entgegnete der Große sanft. „Und nimm es meinem Sohn bitte nicht übel, dass er grob war.“ Zwinkernd fügte er hinzu, „Er muss noch viel lernen.“
Corinna sackte vor Erschöpfung zusammen. „Haben Sie das schwarze Loch gesehen, aus dem ich gefallen bin?“ fragte sie zögernd und schaute den Riesen durch eine ihrer Locken an. Er kratzte sich am Bart. „Ich habe es leider nicht gesehen. Aber wenn du nicht zufällig ein weiteres für den Heimweg dabei hast, haben wir ein Problem.“
Corinna zog die Knie ran und vergrub ihren Kopf in der Armbeuge: „Ich habe kein zweites“, murmelte sie, „Meine Ersparnisse gingen komplett für das erste drauf.“ Kaum hörbar fügte sie unter ihrem Lockenschopf hinzu: „Und es war im Angebot.“
Der Mann nickte mitfühlend und entwirrte eine Locke aus seinem Bart: „Ich bin Horst. Und ich bin zuversichtlich, dass wir eine Lösungen finden!“, versuchte er sie aufzumuntern, als er spürte, wie ihr kleiner Körper immer schwerer wurde und ihre Schultern zu beben begannen.
„Corinna“, stellte sie sich schniefend vor, schaute dann aber zu ihm auf.
„Kannst du mir wirklich helfen? Ich möchte doch nur, dass die Welt sich auch einmal um mich dreht!“ Sie stand auf und krabbelte unter Horst Hemdkragen. Der Mann musste daraufhin so breit grinsen, dass ihm Krümel vom Frühstück aus dem Bart rieselten. Schließlich begann er langsam zu nicken.
„Ich denke, das sollte machbar sein“, schmunzelte er und setze das Dach zurück aufs Puppenhaus.
Helga fiel dabei lautstark die leere Wurstplatte vom Abendessen aus der Hand. Corinna erschrak ebenfalls und sah abwechselnd zu ihr und dem Ehemann, der mit einem Bier in der Hand auf die Couch gesetzt worden war. „Ich vergesse dich nicht, Helga! Pack schon mal deinen Koffer,“ rief Corinna noch, als Horst mit ihr das Zimmer verließ.
Sie gingen in den Keller.
Corinna staunte, durch welch unterschiedliche Universen Horst sie dabei trug. In einem öffnete er eine Art Dimensionstür. In ihr verbarg sich die Eiszeit. Horst zog dort ein flaches rundes Raumschiff aus einer Pappkarton-Garage. Allerdings wunderte sich Corinna, dass sie zuvor noch nie von der Weltraum-Marke „Funghi“ gehört hatte. Horst sah die Fragezeichen in ihren Augen. „Das lasse ich gleich durch den Backofen fliegen“, erklärte er, „Für das schwarze Loch in meinem Magen.“
„Aber ich dachte, ihr hättet keine schwarzen Löcher?“, bohrte Corinna nach.
Horst schmunzelte: „Neben dem in meinem Magen, ist nur das Zimmer unseres Sohnes ein weiteres. Dort gehen allerdings keine Menschen auf Reisen, sondern eher Socken.“
Zu guter Letzt betraten sie ein Universum, in dem Musik spielte und es einen extra Bereich für verschiedenste Trinkquellen gab. „Regnet es dort oft?“, fragte Corinna und zeigte auf eine Vielzahl bunter Schirme. „Das nicht“, erklärte Horst, „Aber wenn ich mich zu lange dort aufhalte, gibt es von meiner Frau ein ‘Donnerwetter’“
Horst drückte lachend auf den Schalter hinter sich. Es wurde dunkel.
„Die Sonne ist aber schnell untergegangen“, bemerkte Corinna und sah sich um. Plötzlich wurde sie von einem gleißenden Licht geblendet. Sie versuchte mit ihrem Blick auszuweichen. „Schau hoch!“, forderte Horst sie auf und spendete Schatten mit der Hand. Über ihrem Kopf erstrahlte ein silberner Planet. Corinna fiel die Kinnlade runter. „Der ist ja wunderschön!“, fiepte sie, „Und passt farblich perfekt zu meinem Weltraumanzug.“ Sie wog sich hin und her. Der Planet war mit so vielen Mosaik-Spiegeln bedeckt, dass Corinna gar nicht erst versuchte, sie alle zu zählen.
„Setzt du mich auf ihm ab?“, fragte sie und tippelte mit den Füßen. Horst kam ihrem Wunsch nach. „Ich kann von hier oben das ganze Universum sehen“, rief sie voller Freude.
„Du kannst noch viel mehr“, ermutigte Horst sie, „Stampf einmal kräftig mit dem Fuß auf!“
Gesagt, getan. Corinna rammte ihren Fuß gegen die silbrige Oberfläche. Sie glaubte aus der Ferne ein leises Klicken zu hören. Der Planet begann sich zu drehen. Hunderte Sterne jagten sich durch das Universum und funkelten um die Wette. Corinna liefen Tränen über die Wangen.
Horst kramte unterdessen in einer Schublade und hielt Corinna anschließend eine kleine Propellermaschine unter die Nase: „Ich glaube, eine ganz bestimmte Person würde sich sehr freuen, wenn du sie abholst, um das Abenteuer mit dir zu teilen.“