Der Ernst des Lebens_II

Kurzgeschichte
„Der Ernst des Lebens“

„Der Sand ist klumpig! Hier hat bestimmt eine Katze rein geköttelt!“, grummelte Ernst, während er eine kleine matschige Sandkugel zwischen seinen Fingern formte.
„Sie riecht merkwürdig!“, stellte er fest und verzog das Gesicht.

Auf der anderen Seite des Sandkastens hockte ein zierliches Mädchen mit geflochtenen Zöpfen und sortierte fröhlich summend Förmchen. Ihr war das Gemecker nicht entgangen. Sie sah zu dem Jungen rüber und fragte: „Warum schimpfst du?“ Ernst war verblüfft, dass ein anderes Kind ihn ansprach. Meist wurde er auf dem Spielplatz ignoriert. Er maulte: „Am Anfang sind sie niedlich. Doch wenn sie größer werden, tanzen sie dir auf der Nase rum!“

Das Mädchen entgegnete verunsichert: „Meinst du mich? Ich bin lieb und bleibe es auch!“ Ernst schnaufte dramatisch:
„Nein du Dummerle, ich meine Katzen! Oder eigentlich alle Tiere. Und Menschen sowieso!“

Die Kleine rutschte ein Stück näher zu dem Jungen und stellte sich vor:
„Ich bin Isabell! Und du?“
Der Junge rümpfte die Nase:
„Ich bin Ernst!“

„Dass du nicht fröhlich bist, ist mir schon aufgefallen!“, flötete die Kleine.
„Nein du Pöks, das ist mein Name!“, blaffte er.
Das Mädchen grinste:
„Aha, Ernst, und wie weiter?“
Der Junge verschränkte energisch die Arme vor der Brust und raunte:
„Der Ernst des Lebens.“

Isabell machte große Augen, ihre Neugierde war geweckt. Sie rutschte ein weiteres Stückchen zu ihm. Ernst tippte mehrmals mit dem Zeigefinger auf ihre Stupsnase und fragte: „Warum bist du so fröhlich kleines Mädchen?“ Isabell lächelte:
„Weil es keinen Grund gibt, ernst zu sein!“

Der Junge erschrak: „Ist deine Fröhlichkeit etwa ansteckend? Gibt es mehrere von euch?“ Ernst war sichtlich irritiert, wischte schnell seinen Zeigefinger am Hosenbund ab und schaute sich hektisch im Sandkasten um. Niemand zu sehen.

Er suchte nun in Isabells Gesicht nach Anzeichen, die ihre heitere Stimmung erklären konnten: „Machen dir deine Sommersprossen so verdammt gute Laune? Denn davon hast du mehr als genug! Du kannst unmöglich so fröhlich zur Welt gekommen sein!“
Isabell griente.
„Zerbrich dir nicht deine kleine Rübe!“ Und drückte Ernst einen Eimer in die Hand.

Er schaute neugierig hinein und sah einen großen Haufen Sand.
„Was soll ich damit?“, fragte er mit herunterhängenden Mundwinkeln.
„Mal im Ernst, Ernst, du bist ein Griesgram! Damit machst du nicht nur den anderen Kindern das Leben schwer, sondern vor allem dir selbst. Ich möchte dir helfen. Trag den Sand bei dir! Er steht für Leichtigkeit“, antwortete sie.

Ernst hob den Eimer: „Dafür, dass er für Leichtigkeit steht, ist er verdammt schwer!“, brummte er. Isabell schmunzelte:
„Und das ist auch gut so! Sonst vergisst du die Leichtigkeit wieder zu schnell. Wenn du merkst, dass deine Gedanken schwer werden, schließ die Augen und schmeiß dir eine Hand voll Sand an den Kopf!
So musst du lachen und siehst alles entspannter.“

Ernst kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf: „Und wenn am Ende alles schief geht?“
„Dann steckst du deinen Kopf in den Sand!“, scherzte Isabell und beobachtete, wie ein flüchtiges Lächeln über sein Gesicht huschte.

Plötzlich hörten sie einen Schrei. Ein Junge war vom Klettergerüst gefallen und hielt sich zitternd die aufgeschürften Knie. Ernst stand auf, griff hastig seinen Eimer und rannte schnurstracks auf ihn zu. Als er am Gerüst ankam, wanderte sein Blick immer wieder zwischen Eimer und den verheulten Augen des Jungen hin und her.

Sein Bedürfnis war groß, ihm kräftig die Leviten zu lesen, dass Klettern sehr gefährlich ist. Ernst kaute auf der Unterlippe und seine Nasenflügel bebten.

Er entschied sich gegen die Leichtigkeit. Ein tiefer Atemzug gefolgt vom erhobenen Zeigefinger waren das Ergebnis, als ihn aus heiterem Himmel eine Katzenköttel-Sandkugel am Hinterkopf traf. Er drehte sich um und sah Isabell lachen, während sie ihre Hand am Kleid sauber rieb.

Ernst versuchte angestrengt ein aufkommendes Grinsen zu unterdrücken, aber es half alles nichts. Er gab sich geschlagen. Mit geschlossenen Augen nahm er eine Hand voll Sand aus dem Eimer und schmiss sie sich mit voller Wucht an den Kopf.

Der verletzte Junge lachte lauthals und rief zu Isabell:
„Ist das dein Ernst?“
Das Mädchen zuckte vergnügt mit den Schultern: „Irgendwie schon!“

Der Junge vergaß seinen Schmerz, klopfte den Dreck von den Knien und packte Ernst an der Hand. Gemeinsam gingen sie zu Isabell.

„Ernst, du hast dir eine Kugel Eis verdient!“, sagte sie und Ernst‘ Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war er der gleichen Meinung.

„Welche Sorte denn?“, fragte er.
„Zitrone, sauer macht lustig!“