Banner_Die_Ampel_Gerda

Kurzgeschichte
„Die Ampel Gerda

Gerda war keine gewöhnliche Ampel, wie sie zahlreich im Straßenverkehr zu finden ist. Sie war anders. Gerade mal einen knappen Meter groß war sie und ihr Kopf bestand aus vier Lichtern. Neben den gewöhnlichen Lichtern „Rot“, „Gelb“ und „Grün“ war ein weiteres angebracht. Es leuchtete in einem knalligen Pink.

Sie wurde hier und dort auch die Partyampel genannt. Wenn ein Fußgänger neben ihr stand, war es jedes Mal eine Überraschung, ob die Ampel am Ende auf Grün oder Pink sprang. Bei Grün konnte der Fußgänger wie gewohnt auf die andere Straßenseite wechseln. Bei Pink jedoch ertönte Musik aus der Ampel und er musste die Straße tanzend überqueren.

Natürlich sollte der Tanzstil zur Musik passen. Da konnte nicht einfach ein Tango über die Straße getanzt werden, wenn Gerda Techno spielte. Sie kontrollierte dies stets sehr genau. Und wenn ihr Unstimmigkeiten auffielen, dann zog sie eine Wasserpistole hervor, spritzte so lange kichernd auf die Beine des entsprechenden Übeltäters, bis sich dieser geschlagen gab und sichtlich bemüht seinen Tanzstil anpasste.

An einem sonnigen Nachmittag im Mai setzte sich ein ausgewachsener Kater aus der Nachbarschaft neben sie. Gerdas Pupillen weiteten sich und der Anblick des getigerten Vierbeiners ließ ihre Schaltkreise zittern, denn sie litt seit Jahren unter einer schrecklichen Tierhaarallergie.

Die konnte unter Umständen sogar so weit führen, dass ihr vor lauter Niesen alle vier Lampen gleichzeitig angingen – von dem daraus entstehenden Verkehrschaos mal ganz abgesehen.

Schnell spielte sie Musik ab und schaltete von „Rot“ auf „Pink“. Umso schneller der Kater die Straßenseite wechseln würde, umso weniger Zeit hätte er, seine Haare zu verteilen. Es ertönte der Hit von Hans Albers „Ein Freund, ein guter Freund“, und der Stubentiger tänzelte los.

Doch statt sich nun zu entspannen, da sich die Gefahr von ihr entfernte, schnaubte sie genervt bei dem, was sie da sah: „Halt, Kater! Das nennst du tanzen?“ Gerda hielt die Musik an. „In diesem Lied geht es um Freundschaft!“ Der Kater hielt inne, drehte sich auf halber Strecke zur schimpfenden Ampel um und schaute irritiert zu ihr auf.

Diese wurde nun übermütig und vergaß völlig, dass der Kater ihr nach wie vor Schaden zufügen konnte. Sie piesackte weiter: „Hast du keine Freunde? Ich kann dich zu diesem Lied nicht alleine über die Straße tanzen lassen.“ Der Kater wurde nun ärgerlich und fauchte.

„Kater, such dir schnell ein paar Freunde!“, forderte Gerda ihn auf. Mittlerweile hatten immer mehr Passanten das Schauspiel bemerkt und bildeten einen Kreis um Kater und Ampel.

Der Stubentiger folgte widerwillig der Anweisung der Ampel. Zu viele Zeugen, um mit Gerda zu kämpfen, dachte er bei sich. Er rannte in die Menge der Schaulustigen und kam kurze Zeit später triumphierend mit drei Tieren zurück. Gerda sah diesen allerdings an, dass sie dem Kater vermutlich nicht ganz freiwillig gefolgt waren.

Die Ampel begutachtete die mitgebrachten Tiere und sagte zum Kater amüsiert: „Du bist sehr erfinderisch, das muss ich dir lassen. Respekt! Gut gemacht!“

Der Vierbeiner freute sich über den Kommentar und forderte zwei der drei Tiere auf: „Los Esel, stell dich neben Gerda! Und du Hund, spring auf seinen Rücken!“ Die beiden gehorchten brav. Der Kater sprang daraufhin auf den Rücken des Hundes und forderte das letzte Tier auf: „Und du, Hahn, stell dich auf meinen Rücken!“ Dieser flog an der Tiersäule hoch und krallte sich mit den Füßen im Fell des Katers fest.

Gerda spielte das Lied erneut ab. Der Esel überquerte tanzend die Straße, während die anderen drei auf seinem Rücken versuchten, dabei ein freundliches Gesicht zu machen. Das Publikum raste vor Begeisterung.

Ein kleiner Junge, der am Rande der Menschenmasse stand, zog fragend seine Mutter zur Seite.

„Du, Mama? Wo wollen die vier Tiere denn jetzt hin?“
Die Mutter schaute zu ihrem Sohn herab und antwortete knapp:
„Ich tippe mal stark auf Bremen.“