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Kurzgeschichte
„Die feuchte Fahrt“

Johannes war ein schüchterner junger Teller, der nach zweitägiger Reise im neuen zu Hause ankam.

Vorsichtig rollte er in die Küche Richtung Spülmaschine und schaute voller Ehrfurcht an ihr hoch.

„Die ist ja riesig! Donner Wetter! Da schlottert mir ja mein Porzellan vor Aufregung!“, dachte er bei sich. „Wie es wohl sein wird, eine Runde mit ihr zu fahren? Vermutlich nass? Aber hoffentlich warm?“ Die Spülmaschinentür öffnete sich quietschend und Johannes schaute neugierig aus sicherer Entfernung, wer oder was sich in ihrem Inneren verbarg.

Ein tiefer Teller stand hochkant im unteren Teil der Maschine. Johannes staunte: „Der Teller sieht ja aus wie mein Opa mit seinem großen goldenen Rand. Dann darf er aber nicht in die Spülmaschine. Oma schimpfte immer mit ihm und sagte, er müsse mit der Hand gewaschen werden.“

Vorsichtig ging er weiter auf ihn zu. „Warum darfst du mitfahren?“, fragte er ihn. Der alte Teller schaute entspannt auf Johannes und antwortete: „Siehst du das milchige Kristallglas neben mir? Das darf hier eigentlich auch nicht rein. Oder glaubst du, das war schon immer so milchig? Doch die Dame des Hauses sieht das nicht so eng. Und was mich betrifft, ich war eh nur ein Geschenk ihrer Schwiegermutter.“

Johannes war verblüfft. „Also bist du schon eine Runde mit der Spülmaschine gefahren?“, fragte er weiter. „Ja aber sicher. Was glaubst du denn? Ich bin so alt, ich habe sogar irgendwann aufgehört, die Fahrten zu zählen.“

Johannes Neugierde war geweckt: „Tut es weh?“, fragte er den alten Teller. Dieser begann zu lachen. „Du bist ein junger Teller, oder?“ Während er dies fragte, nahm er Johannes etwas genauer unter die Lupe.

„Wie kommst du darauf?“, fragte Johannes. „Du bist mit einem sehr modernen Muster bemalt. Das kann noch nicht so alt sein.“ Er versuchte sich weiter zu erinnern. „Jetzt fällt es mir wieder ein. Ich habe in den vergangenen Tagen beobachtet, wie dich die Dame des Hauses bei einem Verkaufssender bestellt hat.“

Johannes grinste verlegen. „Ja, ich bin heute früh erst mit der Post angekommen und nun möchte ich meine erste Fahrt in der Spülmaschine antreten. Aber ich habe etwas Angst.“

Der Blick des jungen Tellers begann, sich zu verfinstern. Der Alte machte ihm Mut: „Glaube mir, es macht große Freude. Was genau befürchtest du denn?“ Der Kleine begann nachzudenken. „Ich habe Angst, dass mein handgemaltes Muster verblasst oder komplett verschwindet. Dann wäre ich nur noch ein ganz gewöhnlicher Teller.“ Der Alte lachte wieder.

„Davor brauchst du dich nicht zu fürchten. Bis es so weit ist, kannst du viele Fahrten antreten, und vor allen Dingen, sie genießen. Wenn deine Befürchtungen eines Tages doch wahr werden sollten, bemale ich dich höchstpersönlich mit einem neuen Muster. Und wer weiß, vielleicht ist das am Ende sogar noch schöner als das, was du im Moment trägst.

Hast du denn schon eine Fahrkarte gezogen? Vorne beim Staubsaugerroboter?“ Der junge Teller nickte. „Ja, das habe ich. Der Roboter hat mir die Fahrkarte quasi aufgedrängt. Er fuhr mir so lange hinterher, bis ich sie ihm schließlich abnahm. Er meinte, dies wäre ein sauberes Haus. Ich solle mich so schnell wie möglich waschen lassen, da ich Schmutz von draußen mit ins Haus gebracht hätte.“

Ein arrogantes Sektglas, welches kopfüber im unteren Teil der Maschine stand, mischte sich in das Gespräch ein: „Wenn du mitfahren willst, solltest du endlich einsteigen. Wir fahren gleich los!“

Johannes platzierte sich hochkant hinter den alten Teller. Das Glas fuhr fort: „Bitte anschnallen! Die Tür schließt in wenigen Augenblicken. Die beiden Notausgänge befinden sich im oberen Teil der Maschine.“ Während das Glas alles erklärte, zeigte es fachmännisch mit seinem Fuß in die jeweiligen Richtungen.

Schnell kamen noch weitere Passagiere angelaufen und wedelten hektisch mit ihren Fahrkarten. Da war zum Beispiel die Suppenkelle, die nur geduckt mitfahren konnte, da sie schlichtweg zu groß war. Oder die Gruppe von kleinen Brotmessern, die sich an den Händen hielt und vor Aufregung im Kreis tanzte.

Zu guter Letzt gesellte sich ein edles französisches Buttermesser dazu. Das Sektglas verdrehte daraufhin genervt die Augen und bemerkte schnippisch: „Immer diese Touristen aus dem Ausland.“

Eine Espressotasse ging abschließend durch die Reihen und fragte: „Ciao signore e signori, fährt irgendjemand zum ersten Mal mit?“

Johannes hob schüchtern den Arm. Die Tasse kam zu ihm und hielt dem jungen Teller einen Spülmaschinentab unter die Nase. „Was soll ich damit?“, fragte Johannes. Die Tasse flüsterte ihm ins Ohr: „Mio caro amico. Einmal kräftig daran lecken und deine Angst ist passé. Vertrau mir. Das ist das gute Zeug aus dem teuren Supermercado. Nicht das billige, das du an der Tankstelle kaufen kannst.“

Johannes lehnte dankend ab, schnallte sich an und beobachtete, wie die Tasse den Tab mit einem gekonnten Wurf, gefolgt von einem lauten „Ciao“ in das dafür vorgesehene Fach warf.

Die Tür schloss sich. Ein Countdown ertönte und zählte von zehn an rückwärts. Es ging los. Eine beeindruckende Lasershow startete in der Maschine. Rote Lichter, wohin Johannes auch sah. Das Wasser schoss aus der Decke und im Handumdrehen waren alle Insassen klitschnass. Es war zum Glück warm. Das löste bei den Mitfahrenden Begeisterung aus. Johannes kreischte vor Freude.

Das Fach spuckte den Tab aus und er vermischte sich mit dem Wasser. Das Ergebnis dieser Fusion war eine atemberaubende Schaumparty. Das arrogante Sektglas begann lauthals zu singen und das edle französische Buttermesser pfiff fröhlich dazu im Takt.

Johannes bedankte sich nach dieser turbulenten Fahrt bei dem alten Teller für seine Unterstützung und erhielt beim Staubsaugerroboter eine Jahreskarte für die Spülmaschine.

Denn dies sollte nicht seine letzte Fahrt gewesen sein.