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Kurzgeschichte
„Wüstensand

Der Wüstensand Willi war schon eine Weile unterwegs. Aber nicht freiwillig. In einem Moment der Unachtsamkeit hatte ihn eine Dame in ein Einmachglas geschüttet. 

Dann wurde es dunkel. 

Als sich der Schleier wieder hob, war die Sanddiebin spurlos verschwunden.

Willi sah sich um. Das Glas, in dem er sich befand, stand auf einem kleinen Steinsims.
Vor ihm lagen liebevoll arrangierte Blumen. 

Plötzlich spürte er einen dumpfen Schlag. Der Drahtbügelverschluss über ihm schnappte auf und der Deckel fiel herunter. Eine Pfote begann wild im Glas umher zu fischen. Willi blickte in ein weit aufgerissenes Katzenauge. Das andere war mit einer schwarzen Klappe abgedeckt.

„Tu mir nichts!“, flehte Willi.

„Du bist neu in der Gegend, oder?“, fragte der getigerte Eindringling und hielt schnuppernd die verdreckte Schnute ins Glas.

„Ich habe keine Ahnung wo ich bin!“, stotterte Willi.

„Kanntest du ihn?“, wollte die Katze wissen und deutete mit dem Kopf auf einen großen Stein neben ihnen. Der Sand entdeckte ein Foto darauf.

„Das ist Frank!“, platzte es aus ihm heraus. 

„… gewesen.“, raunte der Vierbeiner in die Dämmerung.

„Er besuchte über Jahrzehnte die Wüste Gobi, mein zu Hause.“, erzählte Willi. „Das letzte Mal als ich ihn sah, war er allerdings sehr erschöpft. Aber das hielt ihn nicht davon ab, mit leuchtenden Augen barfuß durch den Sand zu rennen. Ich habe es geliebt, ihn dabei zu beobachten. Er sah so glücklich aus! Ab und an habe ich mir einen Spaß erlaubt und wirbelte wild um ihn herum,“ gluckste Willi, „bis ihm schwindelig wurde und er auf seinem Hintern landete.“ 

„Lass mich raten,“ flüsterte der Vierbeiner und unterdrückte ein Schnurren, „das ist eine Weile her.“

„Er fehlt mir!“, entgegnete Willi knapp.

Im Mondschein sah er, wie die Augenklappe des Raubeins feucht wurde. 

Die Katze seufzte schließlich und stieß das Glas um. 

Willi rieselte zwischen den Blumen hindurch und tauchte in die frisch aufgeschüttete Erde ein. 

Hinab zu seinem alten Freund.