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Kurzgeschichte
„Aus dem Takt

„Ich habe mein Herz verkauft“, sagte Benni und ließ sich auf einen der riesigen Schrottberge plumpsen, „Für mich war das einfach nix.“ Staub wirbelte auf und tänzelte um seinen mechanischen Körper.

„Du hast was?“, erschrak Karlos und setzte sich neben ihn, „Ich höre es doch schlagen.“

Er legte eine Hand auf Bennis Brust. „Ähm“, begann dieser zu stottern, „Genau genommen ist es ein Ticken.“ Karlos zog die Augenbrauen hoch. „Sag nicht, du hast dir eine Eieruhr einsetzen lassen.“

„Doch! Sie hält mich genauso gut am Leben wie das Herz.“
Karlos sprang auf. „Außerdem“, begann Benni weiter zu erklären, „sieh es positiv; wir werden ab jetzt nie wieder die Nudeln verkochen lassen.“

Karlos musste lachen. Dabei sprang ein winziges Zahnrad aus seinem Getriebe. Benni konnte sich gerade noch rechtzeitig ducken, als es in Richtung seines Auges schoss.

„Woher hattest du das Herz denn?“, wollte er weiter wissen, „Die sind Mangelware.“

„Eine junge Frau warf es rüber.“ Benni zeigte auf den hohen Stacheldraht, der das Gelände umzäunte. „Sie rief, es mache ihr nur Ärger. Sie wäre ohne besser dran.“ Benni zeichnete mit dem Finger eine Acht in den Staub, „Da habe ich es genommen.“ Und sah zu Karlos auf. „Sie hatte Recht. Mit dem Herz stimmte wirklich etwas nicht.“ 

„Wie meinst du das?“, forschte sein Freund nach.

„Ich hatte mich nachts bei der Schrottpresse verirrt. Ein Schäferhund nahm die Witterung auf und jagte mich. Das Herz schlug so schnell, dass ich mit beiden Händen meine Brustschatulle festhalten musste.“

Karlos grinste. „Dachtest du, es wäre sonst rausgehüpft?“ 

„Ja, oder schlimmeres. Es raste so schnell, vermutlich wäre es in Flammen aufgegangen.“ 

Eine Gruppe Nacktmulle schlich an den beiden vorbei. Ihr Zittern ließ vermuten, dass sie ein Feuer durchaus begrüßt hätten.

„Wie bist du dem Hund entkommen?“ Karlos knabberte auf einer Radmutter. „Titus, der alte Toaster, sprang dazwischen und bespuckte das haarige Viech mit schimmeligen Toastscheiben. Den Moment nutzte ich und nahm die Beine in die Hand.“

„Hatte sich das Herz anschließend beruhigt?“

„Vorerst ja“, Benni sah zum Himmel, „Aber dann stand Wickie das Waffeleisen vor mir.“

„Ach du heiligs Blechle!“, lachte Karlos, „Ich verstehe. Sie ist definitiv ein heißes Gerät.“

„Mein Herz stolperte, als ob es die Treppe runterfiel. Ich vermute, es hat einen Wackelkontakt.“

Karlos half ihm auf. „Und dann hast du es einfach verkauft?“

„Ja“, antwortete sein Freund und klopfte sich den Dreck von den Knien. 

Karlos begann derweil mit seinen blechernen Füßen wie ein Tiger im Käfig auf und ab zu gehen. Benni stellte sich ihm in den Weg: „Was ist los mit dir?“
Karlos seufzte. „Ich denke an mein Herz zurück.“ 
„Du hast es doch schon vor langer Zeit verkauft“, kommentierte Benni.

Karlos legte eine Hand auf seine Schulter. „Erstens, habe ich es nicht verkauft, sondern verschenkt. Zweitens, kann ich mich noch gut an die intensive Zeit mit dem Herz erinnern. Es war unberechenbar. Das war aufregend.“ Er kickte einen Schraubenschlüssel weg. „Ich würde alles für ein neues tun.“

„Willst du damit sagen, dass alle Herzen aus dem Takt sind?“ 

„Ja!“ Karlos sah Benni direkt in die Augen, „Und das ist auch gut so.“

Benni grübelte: „Ich wusste nicht, dass du mit deinem Wecker unzufrieden bist.“ Er klopfte auf Karlos silbrig schimmernde Brust.

„Genau 60 Takte pro Minute“, flüsterte sein Freund, „Egal ob am Tag oder in der Nacht. Egal ob ich fröhlich oder traurig bin.“

Bennis Glühbirnen-Augen flackerten: „Von der Seite habe ich es noch gar nicht betrachtet.“

„Der einzige Vorteil ist“, Karlos zwinkerte ihm zu, „dass ich morgens nicht mehr verschlafe.“ 

Plötzlich hörten sie ein schrilles Klingeln.

Benni fiel um.

„Auch das noch!“, schnaufte Karlos. Er drehte ihn auf den Rücken und griff beherzt in seine Brustschatulle. Behutsam nahm er die Eieruhr in beide Hände und zog sie wieder auf.

Ein tiefer Atemzug holte Benni zurück.

„Was ist passiert? Hatte ich einen Infarkt?“

„Nimm es nicht persönlich“, flötete Karlos, „aber wo kein Herz, da kein Infarkt. Deine Zeit war einfach abgelaufen.“

„Okay, das reicht!“, Benni stampfte kräftig auf, „So will ich nicht leben! Lass uns mein Herz zurückerobern!“ Karlos kam vor Schreck die zerkaute Radmutter wieder hoch. 

Noch bevor er antworten konnte, hatte Benni ihn auch schon untergehakt. Er zog ihn zur Schrottpresse. Dort angekommen, schauten die beiden am großen Greifarm hinauf.

„Axel setzt sich ins Führerhaus“, rief Karlos, „Der ist erst mal beschäftigt.“

„Das trifft sich gut“, entgegnete Benni, „Beim Verkauf hatte er mir nämlich klipp und klar zu verstehen gegeben, dass ich das Herz nicht zurück kaufen kann. Er hätte es bereits als Futter für die Hunde verplant.“

„Das darf doch wohl nicht wahr sein!“, schimpfte Karlos und hob ein Brecheisen auf. „Das müssen wir verhindern.“ In dem Moment, als der Greifarm ein Auto dem freien Fall überließ und es kurz darauf lautstark in die Presse knallte, brachen sie Axels Ladentür auf.

Es war gruselig dunkel drinnen und roch nach gegerbtem Leder. Benni riss die Augen auf. Sein Licht gab ihnen Orientierung. In den alten Holzregalen rechts und links standen verschieden große Einmachgläser. Neben eingelegten Füßen, entdeckten sie diverse Glubschaugen und Hundehalsbänder mit Nieten. Vorn auf dem Verkaufstresen lagen Aufkleber mit der Aufschrift
‘Ein Herz für Tiere.’

„Kannst du es sehen?“, flüsterte Karlos. „Bisher nicht“, keuchte Benni und schlich hinter den Tresen. Er kramte einen Stapel vergilbte Zeitschriften auseinander. Ein Leuchten, ähnlich farbenfroh wie ein Sonnenuntergang, schien ihm darunter entgegen. 

Da lag es, das Herz. Verdreckt, aber es schlug.

„Lass uns bloß schnell von hier verschwinden!“, rief Karlos und Benni steckte es ein, „Ich habe die Pausenglocke gehört.“ Auf dem Weg nach draußen pochte das Herz wie wild. Benni versuchte es zu beruhigen. Dabei glitt es ihm durch die Finger. „Mir rutscht das Herz in die Hose, Karlos!“

„Hand aufs Herz, Benni!“

Die Ladentür öffnete sich einen Spalt. Die beiden blieben wie angewurzelt stehen. Ein Schäferhund steckte seinen Kopf hindurch und kämpfte mit einem Stück Toast, das ihm im Fell klebte. Er entdeckte die Zwei. Mit gebeugten Schultern knurrte er die Herzensdiebe an. Die Lefzen waren so weit hochgezogen, dass der Blick auf die gefletschten Zähne frei war. Spuckefäden tropften im Sekundentakt zu Boden.

„Karlos!“, rief Benni, „wirf ihn mit Glubschaugen ab!“ Karlos fischte fix ein paar und zimmerte sie ihm mit Schmackes in die Schnauze. Der Hund schnappte danach und verschluckte sich jämmerlich. Würgend zog er sich zurück.

Die Freunde fielen sich erleichtert in die Arme. Dabei passte Benni einen Moment nicht auf und das kostbare Organ rutschte durchs Hosenbein. 

Es klatschte mit Karacho auf den Steinboden und sprang entzwei.

„Das Herz ist gebrochen!“ riefen sie gleichzeitig.

Beide starten auf die pochenden Hälften. „Und nun?“ flüsterte Benni seinem Freund ins Ohr.
Dieser kniete sich ohne zu überlegen neben das Herz und hob die Teile behutsam auf.

Vorsichtig pustete er den Dreck ab und lächelte seinen Freund an. Dann öffnete er Bennis Brustschatulle. Er tauschte die Eieruhr gegen eine Herzhälfte. Anschließend öffnete er seine eigene  und fixierte dort die zweite Hälfte. 

Karlos nahm Bennis Hand:

„Jetzt ticken wir zusammen nicht mehr richtig.“